Rhythmologie in der Kardiologie
Ausführliche Beschreibung der modernen Diagnostik und Therapie von Herzrhythmusstörungen. Die im Facharztzentrum International durchführbaren Diagnoseverfahren und Therapien sind am Ende des Artikels aufgeführt.
Was ist Rhythmologie?
Die Rhythmologie ist ein Spezialgebiet der Kardiologie, das sich mit der Diagnose und Behandlung von Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) befasst. Diese Störungen entstehen durch Anomalien in der elektrischen Aktivität des Herzens. Solche Anomalien beeinträchtigen den normalen, regelmäßigen Herzschlag. Der normale Herzrhythmus wird vom Sinusknoten gesteuert. Der Sinusknoten ist der natürliche Schrittmacher des Herzens. Er generiert elektrische Impulse, die sich über Leitungsbahnen im Herzen ausbreiten und die koordinierte Kontraktion (das Zusammenziehen) der Herzkammern steuern.
Wie häufig sind Herzrhythmusstörungen in Deutschland?
In Deutschland leiden etwa 1,8 Millionen Menschen an diagnostizierten Herzrhythmusstörungen. Vorhofflimmern ist mit einer Prävalenz von 2-3% bei Erwachsenen die häufigste klinisch bedeutsame Arrhythmie. Bei Menschen über 80 Jahren steigt die Prävalenz auf über 10% an (Hindricks et al., 2021).
Welche Arten von Herzrhythmusstörungen werden kardiologisch unterschieden?
Supraventrikuläre Arrhythmien, Ventrikuläre Arrhythmien und Bradyarrhythmien. Die Herzrhythmusstörungen werden nach ihrem Ursprungsort und ihren Mechanismen klassifiziert:
1. Supraventrikuläre Arrhythmien
Diese entstehen oberhalb der Herzkammern, in den Vorhöfen oder dem AV-Knoten:
Vorhofflimmern
Charakterisiert durch schnelle, unkoordinierte elektrische Aktivität in den Vorhöfen, die zu einer unregelmäßigen Herzfrequenz führt. Vorhofflimmern erhöht das Schlaganfallrisiko um das 5-fache und ist für etwa 20-30% aller ischämischen Schlaganfälle verantwortlich.
Vorhofflattern
Eine regelmäßigere Form der Vorhofaktivität mit typischen „Sägezahn“-Mustern im EKG und Vorhoffrequenzen von 250-350 Schlägen pro Minute.
Supraventrikuläre Tachykardie (SVT)
Umfasst verschiedene Formen wie AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT) und atrioventrikuläre Reentry-Tachykardie (AVRT), die oft durch anatomische oder funktionelle „Kurzschluss“-Kreisläufe entstehen.
2. Ventrikuläre Arrhythmien
Diese entstehen in den Herzkammern und können besonders gefährlich sein:
Ventrikuläre Tachykardie (VT)
Drei oder mehr aufeinanderfolgende ventrikuläre Schläge mit einer Frequenz von mehr als 100 Schlägen pro Minute. Anhaltende VTs können zu hämodynamischer Instabilität führen und sind oft mit strukturellen Herzerkrankungen wie Narben nach Myokardinfarkt verbunden.
Kammerflimmern
Eine chaotische, unkoordinierte elektrische Aktivität in den Ventrikeln, die zu einem sofortigen Verlust der Herzfunktion führt. Dies ist eine lebensbedrohliche Situation, die ohne umgehende Wiederbelebungsmaßnahmen zum plötzlichen Herztod führt.
3. Bradyarrhythmien
Herzrhythmusstörungen mit abnormal langsamer Herzfrequenz (typischerweise unter 60 Schlägen pro Minute):
Sinusbradykardie
Langsamer Sinusrhythmus, der bei Sportlern normal sein, aber auch durch Erkrankungen des Sinusknotens verursacht werden kann.
AV-Block
Gestörte Überleitung zwischen Vorhöfen und Kammern, klassifiziert in Grad I (verlängerte Überleitungszeit), Grad II (einige Vorhofimpulse werden nicht übergeleitet) und Grad III (kompletter AV-Block mit vollständiger elektrischer Dissoziation zwischen Vorhöfen und Kammern).
Sinusknotendysfunktion
Umfasst verschiedene Anomalien des Sinusknotens, die zu unzureichender Impulsbildung führen.
Was sind Risikofaktoren und Ursachen für Herzrhythmusstörungen?
Kardiologisch werden Kardiovaskuläre Grunderkrankungen und nicht-kardiale Faktoren unterschieden:
Kardiovaskuläre Grunderkrankungen
– Koronare Herzkrankheit (insbesondere nach Myokardinfarkt)
– Kardiomyopathien (hypertrophisch, dilatativ, arrhythmogen)
– Herzklappenfehler
– Angeborene Herzfehler
– Herzinsuffizienz
Nicht-kardiale Faktoren
– Fortgeschrittenes Alter
– Arterielle Hypertonie
– Diabetes mellitus
– Obstruktive Schlafapnoe
– Schilddrüsenerkrankungen (insbesondere Hyperthyreose)
– Elektrolytstörungen (Kalium, Magnesium, Kalzium)
– Medikamentennebenwirkungen
– Alkohol- und Koffeinkonsum
– Genetische Faktoren (z. B. bei Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom)
Symptome: Was können Anzeichen für Rhythmusstörungen sein?
Die Symptomatik von Herzrhythmusstörungen variiert erheblich – von asymptomatischen (symptomlosen) Zufallsbefunden bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen:
- Palpitationen: Wahrnehmung des eigenen Herzschlags als „Herzstolpern“, „Herzrasen“, „Aussetzer“ oder „Herzklopfen“
- Schwindel und Benommenheit: Durch verminderte zerebrale Durchblutung bei zu schnellem oder zu langsamem Herzschlag
- Synkopen: Kurzzeitiger Bewusstseinsverlust durch vorübergehend unzureichende Gehirndurchblutung
- Belastungsintoleranz und Leistungsminderung: Verminderte kardiale Auswurfleistung bei Arrhythmien
- Dyspnoe/Atemnot: Besonders bei arrhythmiebedingter Herzinsuffizienz
- Angina pectoris: Durch verminderte koronare Perfusion bei schnellen Herzfrequenzen
- Plötzlicher Herztod: Bei malignen ventrikulären Arrhythmien
Wichtig zu wissen: Etwa 30% der Patienten mit Vorhofflimmern sind asymptomatisch. Dies erschwert die frühzeitige Erkennung und Behandlung erschwert und erhöht das Risiko für unbehandelte Komplikationen wie Schlaganfälle (Hindricks et al., 2021).
Welche modernen diagnostischen Verfahren gibt es?
Die Diagnostik von Herzrhythmusstörungen basiert auf einer Kombination verschiedener Methoden:
Anamnese und körperliche Untersuchung
– Detaillierte Symptombeschreibung (Beginn, Dauer, Frequenz, auslösende Faktoren)
– Familienanamnese (Hinweise auf genetische Arrhythmien)
– Auskultation (unregelmäßiger Puls, variierende erste Herztöne bei Vorhofflimmern)
Elektrokardiographische Verfahren
- 12-Kanal-EKG: Standardverfahren zur initialen Beurteilung, erfasst jedoch nur den momentanen Rhythmus (Sensitivität bei paroxysmalen Arrhythmien nur 30-40%)
- Langzeit-EKG (24-72 Stunden): Erhöht die diagnostische Ausbeute auf 70-80% bei paroxysmalen Arrhythmien
- Event-Recorder: Externe Geräte zur Aufzeichnung des Herzrhythmus bei Symptomen, tragbar für Wochen bis Monate
- Implantierbare Loop-Recorder: Subkutan implantierte Aufzeichnungsgeräte mit einer Batterielebensdauer von bis zu 3 Jahren, diagnostische Sensitivität für paroxysmale Arrhythmien >95%
- Telemetrische Überwachungssysteme: Ermöglichen kontinuierliches Remote-Monitoring
Provokationstests
- Belastungs-EKG: Zur Detektion belastungsinduzierter Arrhythmien
- Kipptischuntersuchung: Bei Verdacht auf neurokardiogene Synkopen
- Elektrophysiologische Untersuchung (EPU): Invasives Verfahren zur direkten Messung der intrakardischen elektrischen Aktivität, Identifikation von Reentry-Kreisläufen und Testung der Induzierbarkeit ventrikulärer Arrhythmien
Bildgebende Verfahren
- Echokardiographie: Beurteilung struktureller Herzanomalien und Kardiomyopathien
- Kardio-MRT: Hochauflösende Darstellung des Myokards, Identifikation von Narbengewebe und arrhythmogenen Substraten, insbesondere bei infiltrativen und entzündlichen Erkrankungen
- Kardio-CT: Darstellung der Koronararterien und kardialen Anatomie
Nuklearmedizinische Verfahren: Beurteilung der myokardialen Perfusion und Vitalität
Moderne Therapieansätze
Die Behandlung von Herzrhythmusstörungen umfasst ein breites Spektrum an Optionen, die individuell auf den Patienten abgestimmt werden müssen:
Antiarrhythmische Medikamente
Antiarrhythmika werden nach der Vaughan-Williams-Klassifikation in vier Hauptgruppen eingeteilt:
- Klasse I (Natriumkanalblocker): Wie Flecainid, Propafenon (Ia), Mexiletin (Ib) oder Flecainid, Propafenon (Ic)
- Klasse II (Betablocker): Wie Metoprolol, Bisoprolol, Carvedilol
- Klasse III (Kaliumkanalblocker): Wie Amiodaron, Sotalol, Dronedaron
- Klasse IV (Kalziumkanalblocker): Wie Verapamil, Diltiazem
Die Wahl des geeigneten Antiarrhythmikums richtet sich nach:
– Art der Arrhythmie
– Zugrundeliegender Herzerkrankung
– Begleiterkrankungen
– Potentiellen Nebenwirkungen
Moderne Strategien berücksichtigen zunehmend den individuellen genetischen Hintergrund und pharmakogenomische Faktoren für ein personalisiertes Medikationsmanagement.
Katheterablation
Die Katheterablation hat die Behandlung von Herzrhythmusstörungen revolutioniert und bietet für viele Patienten eine kurative Option:
- Prinzip: Gezielte Zerstörung (Ablation) des arrhythmogenen Substrats mittels Hochfrequenzstrom, Kryoenergie, Laser oder Ultraschall
- Indikationen:
– Supraventrikuläre Tachykardien (Erfolgsraten 90-98%)
– Vorhofflimmern (Erfolgsraten 60-80% nach einmaliger Prozedur, bis zu 90% nach wiederholten Eingriffen)
– Ventrikuläre Tachykardien (Erfolgsraten 50-75%)
– AV-Knoten-Ablation mit Herzschrittmacherimplantation bei therapierefraktären supraventrikulären Tachyarrhythmien
Technologische Fortschritte
– 3D-Mappingsysteme zur detaillierten elektroanatomischen Rekonstruktion
– Kontaktkraftmessung für optimierte Läsionsbildung
– Robotergestützte Navigation für präzisere Ablationen
– MRT-geführte Interventionen
Implantierbare Geräte
Herzschrittmacher: Bei Bradyarrhythmien und AV-Blockierungen. Moderne Systeme bieten:
– Leadless-Technologie (kabellose Schrittmacher direkt im Herzen implantiert)
– MRT-Kompatibilität
– Verlängerte Batterielebensdauer (10-15 Jahre)
– Remote-Monitoring zur Früherkennung von Problemen
Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD): Bei Patienten mit hohem Risiko für maligne ventrikuläre Arrhythmien:
– Primärprophylaxe bei reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (≤35%)
– Sekundärprophylaxe nach überlebtem plötzlichen Herztod
– Adaptive Diskriminierungsalgorithmen zur Vermeidung inadäquater Schocks
Kardiale Resynchronisationstherapie (CRT): Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und elektrischer Dyssynchronie:
– CRT-P (mit Schrittmacherfunktion)
– CRT-D (mit zusätzlicher Defibrillatorfunktion)
– Optimierte Elektrodenplatzierung mittels moderner Bildgebung
– Automatische Algorithmen zur kontinuierlichen Optimierung
Chirurgische Verfahren
Cox-Maze-Prozedur: Chirurgische Behandlung von Vorhofflimmern durch komplexe Schnittführung zur Unterbrechung arrhythmogener Kreisläufe
Hybridverfahren: Kombination minimal-invasiver chirurgischer Techniken mit Katheterablation
Herzunterstützungssysteme: Bei arrhythmiebedingter Herzinsuffizienz
Management spezifischer Arrhythmien
Vorhofflimmern
Als häufigste anhaltende Arrhythmie erfordert Vorhofflimmern ein umfassendes Management:
1. Schlaganfallprävention
– CHA₂DS₂-VASc-Score zur Risikostratifizierung
– Orale Antikoagulation:
– Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin, Phenprocoumon)
– Direkte orale Antikoagulanzien (DOACs): Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban, Dabigatran
– Vorhofohrverschluss als alternative Option bei Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation
2. Rhythmuskontrolle vs. Frequenzkontrolle
– Frequenzkontrolle: Betablocker, Kalziumantagonisten, Digitalis
– Rhythmuskontrolle: Antiarrhythmika, Kardioversion, Katheterablation
– EAST-AFNET 4-Studie (2020): Frühe Rhythmuskontrolle verbessert das klinische Outcome
3. Upstream-Therapie:
– Behandlung von Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes, Schlafapnoe)
– Gewichtsreduktion, Alkoholabstinenz
– Entzündungshemmung, Fibrosemodulation
Ventrikuläre Tachyarrhythmien
Das Management ventrikulärer Arrhythmien hängt von der Ursache und der hämodynamischen Toleranz ab:
1. Akute Therapie:
– Elektrische Kardioversion bei hämodynamischer Instabilität
– Antiarrhythmika (Amiodaron, Lidocain) bei stabilen Patienten
2. Langzeittherapie:
– ICD-Implantation bei hohem Risiko für den plötzlichen Herztod
– Katheterablation zur Substratmodifikation
– Antiarrhythmische Medikation zur Suppression von Ereignissen
3. Ursachenbehandlung:
– Revaskularisation bei ischämischen Ursachen
– Spezifische Therapie bei genetischen Arrhythmiesyndromen
Bradyarrhythmien
Die Behandlung von Bradyarrhythmien richtet sich nach der Symptomatik und dem Schweregrad:
1. Medikamentenüberprüfung: Anpassung oder Absetzen bradykardisierender Substanzen
2. Schrittmachertherapie:
– Bei symptomatischer Sinusknotendysfunktion
– Bei höhergradigen AV-Blockierungen (Mobitz-Typ II, drittgradiger AV-Block)
– Bei symptomatischem Sinusknoten-Syndrom
Aktuelle Forschung und Zukunftsperspektiven
Die Rhythmologie ist ein dynamisches Feld mit zahlreichen innovativen Entwicklungen:
Personalisierte Medizin
– Genetische Testung zur Identifikation arrhythmogener Prädispositionen
– Pharmakogenomik zur Optimierung der Medikamentenauswahl
– Risikostratifizierung mittels biomarker- und bildgebungsbasierter Algorithmen
Innovative Ablationstechnologien
– Pulsed-Field-Ablation: Selektive Gewebemodifikation durch gepulste elektrische Felder
– Strahlungsfreie Navigationssysteme
– „Single-Shot“-Technologien zur Vereinfachung komplexer Ablationsprozeduren
Zelltherapie und regenerative Ansätze
– Stammzelltherapie zur Regeneration geschädigten Herzgewebes
– Gentherapie zur Korrektur arrhythmogener Mutationen
– Biologische Schrittmacher durch genetische Reprogrammierung von Kardiomyozyten
Künstliche Intelligenz und Big Data
– KI-basierte EKG-Analyse zur Früherkennung von Arrhythmien
– Vorhersagemodelle für arrhythmische Ereignisse
– Optimierung der Geräteeinstellungen durch maschinelles Lernen
Rhythmologie in der Gesamtschau
Die moderne Rhythmologie bietet ein breites Spektrum diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten zur individualisierten Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Fortschritte in der Bildgebung, Elektrophysiologie und interventionellen Techniken haben zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsergebnisse geführt. Gleichzeitig erfordert das komplexe Zusammenspiel verschiedener Arrhythmiemechanismen und Grunderkrankungen einen interdisziplinären Ansatz.
Für Patienten mit Symptomen, die auf Herzrhythmusstörungen hindeuten können – wie Herzrasen, Herzstolpern, Schwindel oder unklare Synkopen – ist eine frühzeitige kardiologische Abklärung empfehlenswert. Ein spezialisierter Rhythmologe kann mit modernen diagnostischen Methoden die Ursache identifizieren und eine maßgeschneiderte Therapie einleiten, die nicht nur die Symptome lindert, sondern auch das Risiko für Komplikationen wie Herzinsuffizienz oder Schlaganfall reduziert.